Multinationale Konzerne nutzen alle Möglichkeiten und Lücken der Steuergesetzgebung bis an die Grenze der Legalität (und teilweise auch darüber) aus, um ihre globalen Steuerzahlungen zu minimieren. Dabei werden sie von Wirtschaftsprüfern, Steuerberatern und Anwaltskanzleien und den großen Unternehmensberatungen, insbesondere den Big Four[1], unterstützt.
Das Problem in Zahlen
Weltweit landen etwa 40% der ausländischen Profite multinationaler Unternehmen in Steueroasen (Tørsløv, Wier, & Zucman, 2019). Diese Steuervermeidung von Unternehmen sorgt für jährliche Mindereinnahmen von zwischen 100 und 650 Milliarden Dollar (Janský, 2019). Die OECD schätzt die auf 100 bis 240 Milliarden Dollar.[2] Der Großteil der Schätzungen (Cobham & Janský, 2017; Crivelli, De Mooij, & Keen, 2015, S. 21; Tørsløv, Wier, & Zucman, 2019) geht jedoch von Summen zwischen 500 und 650 Milliarden Dollar aus. Staaten mit niedrigem und mittlerem Pro-Kopf-Einkommen verlieren durch Unternehmenssteuervermeidung jährlich zwischen 90 und 200 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen. Verglichen mit dem BIP betragen die geschätzten Verluste für Staaten mit unteren mittleren Einkommen zwischen 1,5% und 6% (Janský, 2019).
Tørsløv, Wier und Zucman (2019)[3] schätzen, dass Deutschland jedes Jahr etwa 29% der potenziellen Unternehmenssteuern an Steueroasen verliert. Das entspricht fast 20 Milliarden Dollar jährlich. Damit gehört Deutschland nach prozentualem Verlust der Steuereinnahmen weltweit zu den größten Verlierern des jetzigen Steueroasen-Systems. Für einkommensschwache Länder ist die Datenlage weniger gut als für die großen europäischen Volkswirtschaften. Tørsløv und Kollegen schätzen die Steuerverluste einiger ausgewählter Staaten mit niedrigen und mittleren Einkommen, für die ausreichende Daten vorliegen, im Vergleich zu Deutschland niedriger ein. Die Verluste liegen zwischen 2% der potenziellen Unternehmenssteuern in Kolumbien und 24% in Nigeria. Weitere große Länder wie China (3%) Indien (5%), Südafrika (7%), Indonesien (8%), Mexiko (9%), Brasilien (10%) und Venezuela (15%) liegen dazwischen. Für die meisten afrikanischen Ländern fehlt die Datenbasis. Dennoch ist die Problematik für einkommensschwache eher noch schwerwiegender. Sie machen zwar prozentual weniger Verluste. Andererseits sind sie jedoch auch abhängiger von Unternehmenssteuern. Während OECD-Staaten im Durchschnitt 9% des Steueraufkommens durch Unternehmenssteuern generieren, liegt diese Quote für afrikanische Staaten bei 15,3 und lateinamerikanische und karibische Staaten bei 15,4% (OECD, 2019a, S. 5).
Costa Rica verliert den Schätzungen zufolge zwar „nur“ 277 Millionen Dollar pro Jahr. Das macht jedoch 1,8% der jährlichen Staatsausgaben aus und entspricht beispielsweise etwas mehr als der Hälfte der Ausgaben des Gesundheitsministeriums, die im Haushalt für 2019 vorgesehen sind.[4] Südafrika hat 2016 etwa 1,2 Milliarden Dollar durch Gewinnverschiebung von Konzernen verloren. Das entspricht 7% der Unternehmenssteuern, also ein mittlerer Wert im internationalen Vergleich. Gemessen an den Gesamtausgaben des Staats betragen die Steuerverluste somit etwa 1%. Das entspricht ungefähr der Hälfte der im Haushalt von 2016 vorgesehenen staatlichen Ausgaben für Krankenhäuser.[5] In einem Land, in dem die Kindersterblichkeit für Unter-Fünfjährige trotz großer Fortschritte noch beinahe zehnmal so hoch ist wie in Deutschland, können solche Zusatzeinnahmen viele Menschenleben retten.[6]
Grafik: Grüne Staaten repräsentieren Steueroasen. Je dunkler der Ton, desto mehr Unternehmenssteuern werden vermieden. Für beige eingefärbte Staaten fehlen belastbare Daten. Quelle: missingprofits.world
Auch in reicheren Länder könnte das Schließen der Steuerlücke[7] wahre Wunder für die Staatsfinanzierung bewirken: Murphy (2019, S. 24–25) schätzt beispielsweise, dass die Steuerlücke in der Hälfte der EU-Länder größer ist als die staatlichen und privaten Ausgaben im Gesundheitswesen. In manchen Ländern, wie etwa Griechenland und Rumänien, ist die Lücke sogar weit mehr als doppelt so groß wie die Gesundheitsausgaben.
Die Mechanismen der Steuervermeidung von Unternehmen
Das heutige System der internationalen Unternehmensbesteuerung geht davon aus, dass Gewinne bei der Tochtergesellschaft oder Betriebsstätte anfallen, wo die Gewinne verbucht werden. Konzerne werden dafür nicht als ein zusammenhängendes Ganzes betrachtet. Nationale Steuerbehörden haben nur Zugriff auf die Aktivitäten von Tochtergesellschaften und einzelnen Betriebsstätten im jeweiligen Land. Diese zählen nicht als Teil eines multinationalen Gesamtkonzerns, sondern als separate und steuerlich unabhängige Entitäten, die untereinander Verträge schließen und Transaktionen durchführen.
Es gilt das sogenannte Fremdvergleichsprinzip: Transaktionen zwischen Firmen, die demselben Mutterkonzern angehören, müssen zu marktüblichen Konditionen durchgeführt werden. Die Preise für diese firmeninternen Transaktionen bestimmen die Unternehmen mithilfe ihrer Wirtschaftsprüfer und nach den Vorgaben der sogenannten Verrechnungspreis-Richtlinien selbst. Die Verrechnungspreis-Richtlinien der OECD teilen die Gewinne anhand einer Analyse der Funktionen der Tochterfirmen und Vergleichswerten für Transaktionen auf die Staaten auf. Eine wesentliche Rolle spielen dabei die höherwertigen Funktionen wie geschäftliches Risiko und Entscheidungsbefugnis. Denn es sollen die Staaten besteuern, die mit ihrer Infrastruktur die Schaffung von Mehrwert erst ermöglichen.
In der Praxis wird das aktuelle System des Fremdvergleichsprinzips diesem Anspruch immer weniger gerecht. Denn die getrennte Betrachtung von Tochterfirmen desselben Mutterkonzerns ist reine Fiktion in Unternehmen mit einer global integrierten Wertschöpfungskette. Mithilfe der in der Realität eng zusammenarbeitenden Tochterfirmen verschieben Unternehmen ihre Gewinne so, dass sie in Niedrigsteuerländern anfallen statt in den Ländern, welche die Infrastruktur für ihre Geschäfte bereitstellen. Mittlerweile findet schätzungsweise die Hälfte des weltweiten Handels innerhalb von Konzernen statt. Ganze 40% der weltweiten Investments werden dabei über Zweckgesellschaften ohne eigene wirtschaftliche Aktivität in Steueroasen geleitet (Damgaard, Elkjaer, & Johannesen, in Kürze erscheinend). Die Steuerbehörden jedes Landes können die Berechnungen zwar prüfen, anzweifeln und vor Gericht anfechten. Damit sind sie aber häufig überfordert, da sich Gewinnverschiebung im Einzelfall nur schwer nachweisen lässt.
Kasten 2
Bis ein iPhone in den Händen des deutschen Verbrauchers landet, müssen mehrere Arbeitsschritte in verschiedenen Ländern erledigt werden. Design und Forschung in den USA, der Abbau von Mineralen für die Einzelteile in der Demokratischen Republik Kongo, der Zusammenbau der Teile in China und der Verkauf des Geräts in einem der deutschen Retail-Stores. In den jeweiligen Ländern fallen verschiedene öffentliche Kosten für die Ausbildung der Angestellten, physische Infrastruktur und all die weiteren Begebenheiten an, die für eine effiziente Produktion nötig sind. Durch den firmeninternen Handel und die Gestaltung der Verrechnungspreise sorgt Apple aber dafür, dass ein großer Teil der Gewinne in Irland und Jersey anfällt – also in Ländern, die an der Wertschöpfung nur geringfügig beteiligt waren, die aber die Gewinne so gut wie gar nicht besteuern (Christensen & Clancy, 2018).
Die Gewinnverschiebung wird dadurch begünstigt, dass der Wertanteil immaterieller Güter (Markennamen und Patente) am Gesamtwert von Waren und Dienstleistungen im Vergleich zu den materiellen Produktionsfaktoren (Fabriken und Rohstoffe) immer weiter steigt. Und die immateriellen Güter können dank fehlender Vergleichspreise leicht in Steueroasen verschoben werden. Das gilt auch für Kredite und die dafür anfallenden Zinsen.
Ein weiteres Problem stellt der Internethandel dar. Denn das aktuelle System der Besteuerung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Aktivität sieht vor, dass es eine physische Präsenz in einem Land geben muss, damit es Besteuerungsrechte erhält. Wenn eine Ware über das Internet ohne eine solche Präsenz verkauft werden kann, sammeln sich die Gewinne in der Konzernzentrale an – und die kann ohne Probleme in einem Niedrigsteuerland stehen. Das prägnanteste Beispiel ist Amazon, dessen Gewinne aus dem europäischen Markt zum Großteil in die Luxemburger Zentrale fließen.
Vor allem für einkommensschwache Staaten liegt zudem ein Problem mit Doppelbesteuerungsabkommen (DBAs) vor. DBAs sollten ursprünglich verhindern, dass zwei Staaten grenzüberschreitende wirtschaftliche Aktivität doppelt besteuern. Sie regeln die faire Teilung der Besteuerung zwischen den Staaten und weitere steuerlich relevante Themen wie den Informationsaustausch zwischen Steuerbehörden. Heutzutage führt das komplizierte Netz aus DBAs mit teilweise nicht-kompatiblen Regelungen jedoch oft zu doppelter Nicht-Besteuerung. Steueroasen bemühen sich um ein besonders vorteilhaftes Netz aus DBAs für Unternehmen. Zusätzlich zu den internationalen Prozessen zur Minimierung der Steuervermeidung von Unternehmen können Staaten diesbezüglich selbst tätig werden, um die Steuerlücke zu schließen. Eine wichtige Maßnahme ist, DBAs mit Steueroasen zu überprüfen und neu zu verhandeln. Denn DBAs sind der Dreh- und Angelpunkt vieler Vermeidungsstrategien von Unternehmen in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen, wie beispielsweise die Mauritius Leaks illustrieren (Fitzgibbon, 2019).
Im Prinzip bestehen die Steuertricks der Konzerne stets darin, Gesetzeslücken zu nutzen und Gewinne innerhalb einer Konzerngruppe dorthin zu verschieben, wo sie möglichst niedrig oder gar nicht besteuert werden – also in die Steueroasen für Unternehmen. Gewinne können sowohl innerhalb eines Konzerns als auch zwischen verbundenen Konzernen verschoben werden. Die dafür benutzten Methoden reizen die Grenzen der Legalität systematisch aus. Die wichtigsten Instrumente, um Gewinne in Niedrigsteuerländer zu transferieren, sind in Kasten 3 dargestellt.
Kasten 3 beschreibt die wichtigsten Maßnahmen, die im Rahmen des BEPS Action Plan in der OECD diskutiert wurden
Verrechnungspreise: Die Preise für den Handel von Waren und Dienstleistungen zwischen Tochterunternehmen werden so festgesetzt, dass die Gewinne in Niedrigsteuerländer fließen. Dies betrifft insbesondere Waren, deren objektiver Wert schwer zu beurteilen ist, wie etwa immaterielle Güter (Logo, Patente) oder Kredite. Oft gibt es zwischen Unternehmen und Steuerbehörden sogenannte Vorabsprachen oder Steuervorbescheide zu deren Beurteilung (siehe unten).
Vorabsprachen oder Steuervorbescheide („Tax Rulings“): Dort einigen sie sich verbindlich auf eine bestimmte steuerliche Behandlung von Unternehmensteilen oder Transaktionen. Beispiel Niederlande: Die Nummer 4 des Indexes der Steueroasen für Unternehmen hat vergleichsweise hohe Unternehmensteuern, nämlich 25%. Die EU-Kommission hat jedoch offengelegt, dass Starbucks einen effektiven Steuersatz von lediglich 2,44% zahlt, abgesegnet durch Tax Rulings.[8] Auch Steueroasen können so regulär hohe Steuersätze haben – die Ausnahmen machen die Musik.
Zinsen: Investitionen in Hochsteuerländern werden fremdfinanziert, so dass erhebliche Teile der Gewinne in Form von Zinsen (also steuermindernden Unkosten) in Steueroasen transferiert werden können. Ein Luxemburger Ableger von IKEA konnte so seine Steuern von 29,2 auf 2,4% drücken (Auerbach, 2016).
Patentgebühren, Lizenzgebühren und Franchisinggebühren: Die Patent- bzw. die Markenrechte liegen bei einer Tochterfirma in einem Niedrigsteuerland. An diese Tochter werden große Teile der Gewinne als Gebühren überwiesen. So hat Google in 2017 fast 20 Milliarden Euro der Gewinne aus dem Geschäfts außerhalb der USA an eine Tochterfirma in die Steueroase Bermudas verschoben – als Patentgebühren für die Nutzung des Google-Algorithmus (Reuters, 2019).
Versicherungen, Derivate, Garantien, Kredite: Konzerne haben Töchter in Steueroasen, die dann für sie Versicherungen, Derivathandel, Garantien und Kredite abwickeln, wofür sie von den Firmen in Deutschland bezahlt werden. So wandern weitere Gewinne dorthin.
Patentbox, Innovationsbox: Patentboxen sind als besondere Steuerermäßigungen für Firmen gedacht, die technische oder konzeptionelle Forschung und Entwicklungen betreiben. Dies kann jedoch auch bloß vorgetäuscht werden. Beim LuxLeaks-Skandal wurde zum Beispiel enthüllt, dass der Stromkonzern E.on eine Briefkastenfirma in Luxemburg mit Patentbox besaß, obwohl diese keine Forschung betrieb. Das war sogar nach Luxemburger Recht illegal.
Ausnutzung von Steuerabkommen und rechtliche Qualifikationskonflikte: Transaktionen werden oft über mehrere Firmen in Staaten/Steueroasen mit unterschiedlicher Rechtsprechung geleitet, wobei Lücken in den Doppelbesteuerungsabkommen dazu führen können, dass am Schluss kein Land für die Besteuerung zuständig ist. So kam es beispielsweise dazu, dass ein Großteil der Profite Apples über Jahre nirgendwo besteuert wurde – da die USA Irland die Steuerrechte zusprachen, Irland jedoch den USA (Ting, 2014).
Rechnungsfälschung („Trade Misinvoicing“): Durch das Berichten von falschen Mengen an Gütern für Export und Import können Zölle und Steuern umgangen werden und unberechtigte Subventionen erschlichen werden. Außerdem kann so Kapital über Grenzen verschoben werden. Global Financial Integrity schätzt beispielsweise, dass so versteckte illegale Geldflüsse in und aus Staaten durchschnittlich 18% des gesamten Handels der Länder ausmachen (Global Financial Integrity, 2019). Allerdings wurde die Methodik dieser Schätzung mehrfach kritisiert (Forstater, 2017) und es existieren praktisch keine konkreten Beispiele groß angelegter Steuerhinterziehungsmodelle auf Basis von Trade Misinvoicing.
Internethandel: Die Versteuerung erfolgt nicht im Land des Kunden, sondern am Standort des Computers des Internethändlers, der oft in einer Steueroase steht. Hierbei geht es nicht nur um die Vermeidung von Unternehmenssteuern sondern auch um die Vermeidung von Umsatzsteuern. Bekanntestes Beispiel ist Amazon, dessen Auslieferungslager sogar in Deutschland stehen, aber in Bezug auf den Großteil der Gewinne dort steuerlich nicht als Betrieb gelten, da die wesentlichen Geschäfte offiziell in Luxemburg abgewickelt werden.
Stiftungen: Stiftungen sind in den meisten Staaten steuerbegünstigt. Manchmal genießen sie auch Privilegien und Steuervergünstigungen, wenn sie gemeinnützig sind, ohne dass das in irgendeiner Weise gerechtfertigt ist.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass diese Methoden meist legal sind, aber oft die Grenzen der Legalität systematisch ausreizen. So hat die Veröffentlichung der Pläne der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers in Luxemburg (Lux-Leaks) auch eine Reihe von illegalen Praktiken aufgedeckt. Auf Basis dieser Erkenntnisse laufen noch einige Verfahren der EU-Kommission gegen illegale staatliche Hilfen für Unternehmen in den Niederlanden, Belgien und Irland.
Politische Prozesse und Lösungsansätze
Schon lange versuchen internationale Organisationen, Gewinnverschiebung von multinationalen Unternehmen einzuschränken – oder zumindest transparenter zu machen. Nach dem ersten Weltkrieg der Völkerbund und nach dem zweiten Weltkrieg OECD und Vereinte Nationen haben Ansätze dazu entwickelt. Die 1975 gegründete UN Commission on Transnational Corporations schlug 1978 vor, Konzerne zu detaillierten Berichten über die weltweiten Operationen ihrer einzelnen Tochterfirmen zu verpflichten, scheiterte aber am Widerstand der Wirtschaftsverbände aus den Ländern des globalen Nordens. Diese Idee wurde zu der heute viel-diskutierten länderbezogenen Berichterstattung (Englisch: CbCR) weiterentwickelt und wird von der Zivilgesellschaft seit Anfang der 2000er-Jahre hartnäckig gefordert.[9]
Das Prinzip des Fremdvergleichs wurde schon in den 1930er-Jahren kritisiert, der Entstehungsphase des heutigen internationalen Steuersystems. Die Alternative war damals wie heute der Blick auf das gesamte Unternehmen, samt all seiner Tochterfirmen, die sogenannte Gesamtkonzernsteuer.[10] Anstatt mittels Verrechnungspreisen einen Gewinn für jede Tochtergesellschaft und jedes Land zu berechnen, sollen dafür die globalen Konzerngewinne anhand einer Formel auf die verschiedenen Länder aufgeteilt werden. Der Gewinnanteil und die Besteuerungsrechte bemessen sich damit für jedes Land daran, wie es über die in der Formel berücksichtigten Faktoren wie Kapital, Umsatz, Arbeit oder Nutzer an der Schaffung des Mehrwerts involviert ist. Die Zivilgesellschaft hat die Gesamtkonzernsteuer zwar durchaus wieder auf die politische Agenda gebracht. Umgesetzt wurde sie jedoch im internationalen Kontext noch nicht.
Die heute relevanten Verhandlungen zu einer Neu-Strukturierung des Systems der Besteuerung multinationaler Unternehmen laufen vor allem über die OECD.[11] Mangelhafte Staatsfinanzierung auch in wohlhabenden Staaten im Zuge der Finanzkrise von 2007/2008 genauso wie Berichte über die Steuervermeidungspraktiken einzelner Firmen, die 2012 in Protesten vor britischen Starbucks-Filialen mündeten, haben zusätzlichen politischen Druck erzeugt, das Problem der Gewinnverschiebung in den Griff zu bekommen. Daher erarbeitete die OECD seit 2012 ein umfangreiches Maßnahmenpaket gegen Steuervermeidung und Gewinnverschiebung (Englisch: Base Erosion and Profit Shifting, BEPS). Mit diesen Regeln sollte die Besteuerung von Unternehmen international angeglichen und vermeidungssicher gestaltet werden. Der Aktionsplan der BEPS-Initiative umfasst 15 Maßnahmen, die die unterzeichnenden Staaten seitdem teilweise verpflichtend, teilweise freiwillig in nationales Recht umsetzen. In der EU wurden dazu zwei Richtlinien (ATAD I und II) verabschiedet, deren Regelungen ab 2019 beziehungsweise 2020 in Kraft treten sollen. Kasten 3 beschreibt die wichtigsten Maßnahmen, die im Rahmen des BEPS Action Plan in der OECD diskutiert wurden.
Kasten 4 beschreibt die wichtigsten Maßnahmen, die im Rahmen des BEPS Action Plan in der OECD diskutiert wurden
Die 15 Maßnahmen bestehen aus vier Mindeststandards (zu schädlichen Steuerpraktiken, Abkommensmissbrauch, länderbezogenen Berichten und Streitschlichtung, Maßnahmen 5, 6, 13 und 14), Verbesserungen am System der Verrechnungspreise (Maßnahmen 8 bis 10) sowie einer Reihe weiterer, nicht verpflichtender Gegenmaßnahmen und Arbeitsvorschlägen gegen Gewinnverschiebung durch hybride Gestaltungen (Maßnahme 2), Briefkastenfirmen ohne Substanz (Maßnahme 3, 7), Zinsen (Maßnahme 4), Verbesserung der Datenlage (Maßnahme 11) und einer Anmeldepflicht für Steuergestaltungen (Maßnahme 12). Maßnahme 1 betrifft die Digitalwirtschaft und wird in einem weiteren Prozess bearbeitet (dazu später mehr).[12]
Länderbezogene Berichterstattung (Country-by-Country Reporting, CbCR) (Maßnahme 13): Multinationale Unternehmen mit Umsätzen über 750 Millionen müssen erstmals für das Steuerjahr 2016 gegenüber den Steuerbehörden in einem Bericht ihre Verrechnungspreise erläutern. Für jedes Land, in dem sie tätig sind, müssen Kennzahlen wie interne und externe Umsätze, Mitarbeiter, Gewinne und Steuern offengelegt werden. Die Transparenz ist notwendig, damit die Behörden die korrekte Anwendung der Verrechnungspreis-Richtlinien kontrollieren können. Außerdem braucht es gute Daten, um Konsequenzen neuer Gesetzgebung abschätzen zu können. Maßnahme 13 war somit ein Fortschritt. Die Berichte sind allerdings nicht öffentlich. Das ist besonders verheerend für Staaten, die aufgrund mangelnder Kapazitäten noch nicht am BEPS-Projekt teilnehmen können. Die Öffentlichkeit sollte ebenfalls Zugang zu den Daten bekommen, um wissenschaftliche Analysen und zivilgesellschaftliches Engagement zu ermöglichen.
Informationsaustausch und Kontrolle von schädlichen Steuerpraktiken (Maßnahme 5): Dieser Mindeststandard schränkt die Verwendung von Patentboxen auf solche ein, die mit tatsächlicher Forschung und Entwicklung in dem jeweiligen Land verbunden sind. Außerdem verpflichtet er Staaten, im Rahmen des Forum on Harmful Tax Practice, steuerlich relevante Informationen miteinander zu teilen. Dazu gehören ihre individuellen steuerlichen Abmachungen mit Unternehmen sowie potenziell schädliche Steuergestaltungen, von denen sie Kenntnis haben. Die OECD hat eine Methodik zum Austausch der Information entwickelt. Dieser Ansatz wird beispielsweise innerhalb der EU durch eine Rats-Direktive seit 2017 angewandt, auf Basis derer Staaten Tax Rulings miteinander teilen..
Änderung der Doppelbesteuerungsabkommen (Maßnahmen 6, 15)
Die OECD schlägt die Anpassung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen (DBAs) vor, um die Probleme mit doppelter Nichtbesteuerung zu lösen. Eine verbindliche Anti-Missbrauch-Regel soll Steuerbehörden erlauben, die Steuerfreistellung zu versagen, wenn ein Missbrauch durch Nutzung von Lücken festgestellt wird. Dieser Vorschlag wird in der Praxis voraussichtlich wenig bewirken, da meist Schwierigkeiten bestehen, diese Lücken nachzuweisen. Diese und zukünftige Neuerungen sollen über das sogenannte multilaterale Instrument vollzogen werden, durch das die Regeln in den derzeit geltenden rund 3.000 bilateralen Steuerabkommen gleichzeitig überschreiben werden.
Kontrolle der Verrechnungspreise (Maßnahmen 8–10): Die Verrechnungspreis-Richtlinien sollen überarbeitet werden. Dabei sollen insbesondere die Bewertung und die Allokation von immateriellen Werten sowie von Geschäftsrisiken und Versicherungen besser geregelt werden. Transfers an Unternehmen, die lediglich Profite aus von anderen operativen Unternehmen erhalten, selbst aber keinerlei Risiken oder Verantwortung tragen, sollten nicht anerkannt werden. Dafür muss in Zukunft über Verträge hinaus die reale Situation im Unternehmen belegt werden. Die OECD empfiehlt auch, dass konstruierte Geschäfte und Pseudodienstleistungen, die nur aus Steuersparzwecken erfolgen, nicht mehr anerkannt werden. Der Action Plan hält dennoch am generell problematischen Fremdvergleichsprinzip fest.
Weil der OECD ausschließlich Länder mit hohem Pro-Kopf-Einkommen angehören und die Steueragenda lange von den G7-Staaten dominiert wurde, stand dieser Prozess immer wieder in der Kritik. Nach jahrzehntelanger Kritik an der elitären Vorgehensweise der OECD wurde 2016 das sogenannte Inclusive Framework (IF) ins Leben gerufen. Arbeitsgruppen im IF zu verschiedenen Besteuerungs-Problematiken sollen Lösungsvorschläge entwickeln und aushandeln. Nicht-OECD-Staaten wurden sämtlich eingeladen, am IF teilzunehmen und somit über das internationale Steuersystem der Zukunft mitzuentscheiden. Als Bedingung für eine Aufnahme mussten Nicht-OECD-Staaten sich allerdings verpflichten, die schon beschlossenen vier Mindeststandards des BEPS-Pakets in nationales Recht umzusetzen. Das IF umfasst, Stand Oktober 2019, insgesamt 134 Staaten und schließt viele Länder mit niedrigen Pro-Kopf-Einkommen ein.[13] Schon der offizielle Name „OECD/G20 Inclusive Framework on BEPS“ verdeutlicht, dass dennoch die einkommensstarken Länder aus OECD und G20 die Marschrichtung vorgeben.
2017 startete die OECD die in Maßnahme 1 des ursprünglichen Aktionsplans vorgesehene Weiterentwicklung des Steuersystems für digitale Sachverhalte. Die Zeit drängt: Falls die Staaten sich auf internationaler Ebene nicht auf ein Maßnahmenpaket einigen können, könnte die digitalisierte Wirtschaft weiterhin ungerecht niedrig besteuert werden. Oder es droht ein zuzureichender Flickenteppich aus unilateralen Maßnahmen. Dies würde Unternehmen vor große bürokratische Hürden stellen und eine Gefahr für wirtschaftliches Wachstum darstellen. Diese Gefahr wird von der OECD explizit erwähnt.[14] Digitalsteuern in Frankreich und die Google Tax in Großbritannien sind dafür Beispiele, ebenso wie die US-Steuerreform Ende 2017. Mittlerweile haben bereits 25 Staaten unilaterale Maßnahmen gegen die Niedrigbesteuerung von Digitalkonzernen beschlossen. Angesichts dieser Entwicklung und Vorschlägen aus verschiedenen Staaten(-gruppen), darunter die Forderung der G24 unter Führung von Indien einen höheren Anteil an den Steuereinnahmen zu erhalten, wird aktuell mit Hochdruck über sehr viel weitreichendere Reformvorschläge als noch im Aktionsplan diskutiert. Von einigen Beobachtern wird der Prozess deswegen auch als BEPS 2.0 bezeichnet. 2020 sollen die Ergebnisse bereits bekannt gegeben werden.
Momentan gibt es zwei zentrale Arbeitsbereiche, sogenannte Säulen („Pillars“).[15] Einige Staaten(-gruppen) haben Vorschläge unterbreitet, wie das internationale System der Unternehmensbesteuerung geändert werden soll. Die Arbeitsgruppen im IF versuchen momentan, diese Vorschläge auf ein kohärentes, kompromissfähiges Ganzes einzudampfen. Die Säulen schließen sich dabei nicht gegenseitig aus, sondern können sich in einzelnen Punkten sogar überschneiden.
Säule 1 – Verteilung der Besteuerungsrechte
Die erste Säule dreht sich um die Verteilung von Besteuerungsrechten: Wo entstehen die Profite wirklich und wo dürfen sie besteuert werden? Die Arbeit basiert auf der Einsicht, dass es strukturelle Probleme bei der effektiven Besteuerung grenzüberschreitender Unternehmen gibt, insbesondere in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft.
Zurzeit gibt es drei Vorschläge von unterschiedlichen Staaten(-gruppen), die von minimalen Änderungen bis zu einer radikalen Änderung der internationalen Steuersystems reichen.[16] Im Kern sollen alle drei Vorschläge dafür sorgen, dass diejenigen Staaten mehr Besteuerungsrechte erhalten, in denen Unternehmen zwar hohe Umsätze oder Einnahmen generieren – ohne dort im Sinne des jetzigen Steuersystems aber mit besteuerungswürdigen Funktionen ansässig und steuerpflichtig zu sein.
Ansatz 1 von einer Staatengruppe um Indien sieht vor, dass statt einer physischen Präsenz (wie Büros, Server oder Fabriken) nur eine signifikante wirtschaftliche Präsenz (durch dort ansässige Nutzer oder generierte Umsätze) vorhanden sein muss, damit ein Land Besteuerungsrechte zugewiesen bekommt. Steuergrundlage könnte – wie bei der Gesamtkonzernsteuer – die globale Profitrate sein, angewandt auf die lokalen Umsätze. Anstatt komplexer Berechnungen auf Basis von Verrechnungspreisen und Fremdvergleichsprinzip sollen die Gewinne dann basierend auf den globalen Profiten anhand einer Formel verteilt werden. Die Formel könnte verschiedene Faktoren zu unterschiedlichen Teilen berücksichtigen: Wo sitzen die Angestellten, woher kommt das Kapital, wo werden Umsätze gemacht und – in der Digitalwirtschaft – wo sind die Kunden beziehungsweise Nutzer eines Konzerns?
Ansatz 2 aus Großbritannien stellt den Beitrag der Nutzer für digitale Geschäftsmodelle heraus. Große Digitalunternehmen (wie etwa Facebook oder Google) generieren einen Großteil ihrer Einnahmen aus Werbung; die Nutzung ist meistens kostenlos. Obwohl die Nutzerdaten, ihre Aufmerksamkeit und ihre aktive Mitwirkung bei der Produktion von Inhalten in den sozialen Netzwerken wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells sind, gibt es keine direkt mit den Nutzern verknüpfte Zahlung, die sich besteuern ließe. Der Vorschlag sieht daher vor, einen Teil der globalen Profite (nämlich die sogenannten Residualgewinne) den Ländern zuzuordnen, in denen die Nutzer sitzen.
Dieser Vorschlag betrifft lediglich stark digitalisierte Unternehmen und rüttelt nicht an generellen Prinzipien der Besteuerung grenzüberschreitender unternehmerischer Aktivität. Zudem sollen hierbei nicht Besteuerungsrechte auf sämtliche globalen Profite neu verteilt werden, wie es bei dem ersten Vorschlag der Fall ist. Stattdessen soll ein Unterschied zwischen Routinegewinnen und Residualgewinnen gemacht werden. Die Routinegewinne sind solche, die ohne Gewinnverschiebung entstehen würden. Diese müssten weiterhin über die problematischen Verrechnungspreis-Richtlinien errechnet werden. Es besteht die Gefahr, dass durch eine breite Definition der Routinegewinne die Reichweite der Maßnahmen von BEPS 2.0 quasi durch die Hintertür stark eingeschränkt wird (ICRICT, 2019).
Ansatz 3 der USA nimmt einen ähnlichen Weg. Statt besondere Regeln nur für Digitalunternehmen zu schaffen, sollen die neuen Regeln alle Geschäftsmodelle betreffen. Im Fokus stehen die sogenannten „Vermarktungsrechte“ („Marketing Intangibles“), die physisch nicht greifbaren, aber oft sehr wertvollen Güter wie Markennamen, aber auch das Wissen über Kundenpräferenzen. Obwohl die Vermarktungsrechte oftmals die Basis eines Großteils der Profite in einem nationalen Markt sind, führen sie in diesem Land bisher nicht zu Besteuerungsrechten. Zudem lassen sie sich leicht in Steueroasen verschieben.
Der Vorschlag sieht vor, den Staaten Besteuerungsrechte einzuräumen, auf die sich die Vermarktungsrechte beziehen. Deutschland bekäme beispielsweise Besteuerungsrechte für (unter anderem) Informationen über deutsche Kunden, die dem Unternehmen helfen, Profite in Deutschland zu erwirtschaften. Wie bei Ansatz 2 bekämen Staaten aber nur zusätzliche Steuerrechte auf die Residualgewinne multinationaler Unternehmen und nicht die gesamten globalen Profite.
Am 9. Oktober 2019 hat das Generalsekratariat der OECD aus diesen drei Vorschlägen einen Vorschlag für ein einheitliches Modell veröffentlicht[17], das zusätzlich vorsieht, die Umverteilung der Besteuerungsrechte nur auf Unternehmen mit direktem Kundenkontakt anzuwenden. Auch gibt es einen pauschalen Anteil für grundlegende Funktionen wie Vermarktung und Vertrieb. Außerdem soll es im Austausch für die Neuverteilung der Besteuerungsrechte für alle teilnehmenden Staaten verpflichtende Streitschlichtungsmechanismen geben. Dies widerspricht dem Vorschlag Indiens und der G24, alle Gewinne formelhaft aufzuteilen und das System der Verrechnungspreise abzulösen, für den laut OECD keine Einigkeit erzielt werden konnte. Außerdem hatten sich alle Schwellenländer der G20 schon beim ersten BEPS-Prozess gegen einen solchen Mechanismus gewandt, weil sie dadurch ihre Steuerhoheit gefährdet sehen.
Säule 2 – Mindestbesteuerung von Unternehmen sicherstellen
Der zweite Arbeitsbereich soll die Lösungen der BEPS-Initiative weiterentwickeln. Staaten sollen ermächtigt werden, wirtschaftliche Aktivität von Unternehmen zu besteuern, die in einem anderen Land nicht besteuert wird. Das Ziel ist, Unternehmen zu verpflichten, dass sie ein Mindestmaß an Steuern in den Staaten zahlen, in denen sie aktiv sind.
Basierend auf einem Vorschlag aus Deutschland und Frankreich sollen über Säule 2 alle Unternehmen verpflichtet werden, auf ihre Gewinne in der ganzen Welt einen Mindeststeuersatz zu zahlen. Werden bei einer Tochtergesellschaft in einer Steueroase niedrigere Steuern fällig, soll das Sitzland der Muttergesellschaft das Recht bekommen, die fehlenden Steuern zu erheben. Umgekehrt sollen firmeninterne Zahlungen an ein niedrig besteuerndes Land im Herkunftsland mit der Mindeststeuer belastet werden dürfen. Steueroasen für Unternehmen hätten so den starken Anreiz, ihre Steuern auf dieses Minimalniveau anzuheben. Denn falls sie die Unternehmen nicht besteuern, werden es die Quellenstaaten tun.
Grundlage für die Besteuerung sollen ein international vereinbarter effektiver – tatsächlich erhobener und nicht nur nominal im Gesetz festgeschriebener – Mindeststeuersatz sein. Möglicherweise soll auch eine gemeinsame Bemessungsgrundlage durchgesetzt werden, also gemeinsame Regeln zu Gewinnermittlung und steuerlich abziehbaren Kosten. Die Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation schlägt einen Satz von mindestens 25% vor (ICRICT, 2019), die Verhandlungen deuten derzeit eher auf einen Kompromiss zwischen 10% und 15% hin. So könnte das „Race to the Bottom“ für Unternehmensteuern unterbunden werden. Es ist allerdings von zentraler Wichtigkeit, dass die Mindeststeuer nicht zu gering ausfällt.
Das OECD-Generalsekretariat hat im Anschluss an die öffentliche Konsultation zu Säule 1 unter dem Namen Global Anti-Base Erosion (GloBE) Proposal under Pillar Two auch einen Vorschlag zu Säule 2 veröffentlicht.[18] Der Vorschlag vom 8. November bleibt jedoch in vielen wichtigen Punkten vage und scheint nicht so weit fortgeschritten wie die Arbeit der Säule 1. So wird beispielsweise noch kein konkreter Mindeststeuersatz für Unternehmen erwähnt. Auch für Säule 2 gibt es keine öffentlichen Impact Assesments von Seiten der OECD.
Fazit BEPS 2.0
Die derzeitigen Verhandlungen im Inclusive Framework zeigen, dass die Berichterstattung über die Steuerpraktiken der großen Digitalkonzerne und der daraus entstandene öffentliche Druck genauso wie die Androhung unilateraler Maßnahmen wichtig sind, um dringend nötige Reformen der internationalen Unternehmensbesteuerung zu erreichen. Das Gelingen ist wichtig und die verhandelten Reformen sind potenziell sehr weitreichend.
Der indische Vorschlag zu Säule 1 würde eine Abkehr vom vielfach kritisierten System der Verrechnungspreise und des Fremdvergleichsprinzips hin zu einer von der Zivilgesellschaft lange geforderten Gesamtkonzernsteuer bedeuten. Die Vorschläge aus Großbritannien und den USA enthalten zwar auch Elemente einer formelhaften Aufteilung von Gewinne. Sie beschränken die neuen Besteuerungsrechte aber auf einen geringen Teil der Gewinne und nutzen das System der Verrechnungspreise weiterhin als Standard. Dies könnte ein nötiger Zwischenschritt hin zu einem weitreichenden Systemwechsel zur Gesamtkonzernsteuer sein, erhöht aber die ohnehin schon zu große Komplexität noch weiter. Das benachteiligt die Steuerverwaltungen des globalen Südens und bietet den Konzernen zusätzlichen Raum für Gestaltungen.
Außerdem besteht die Gefahr, dass durch eine breite Definition der Routinegewinne die Reichweite der Maßnahmen von BEPS 2.0 quasi durch die Hintertür stark eingeschränkt wird (ICRICT, 2019). Schließlich kommt eine aktuelle Schätzung des Tax Justice Network zu dem Schluss, dass nach dem jetzigen Vorschlag der OECD lediglich zwischen 5% und 26% der Gewinne aus Steueroasen neu verteilt würden und die neuen Besteuerungsrechten nur zu geringem Teil den Ländern des globalen Südens zugute kommen würde. Größte Profiteure wären die Länder mit mittleren und hohen Einkommen. Staaten im unteren Bereich der mittleren Einkommen würden sogar Steuereinnahmen verlieren. Von den reichen Staaten würden vor allem die USA profitieren (Cobham, Faccio, & FitzGerald, 2019).
Säule 2 ist eine sehr viel breit anwendbare, intuitiv plausible und wichtige Ergänzung zu den Vorschlägen aus Säule 1. Richtig ausgestaltet hat die effektive Mindestbesteuerung das Potenzial eine Untergrenze für den schädlichen Steuerwettlauf nach unten zu definieren und die in der Berichterstattung wiederholt kritisierten effektiven Steuersätze von weniger als 1% bei Tochtergesellschaften der großen Digitalunternehmen in Steueroasen zu beenden. Wenn auch eine Regel für ausgehende Zahlungen beschlossen wird, kann die Mindestbesteuerung sogar im nationalen Alleingang beziehungsweise ohne globalen Kompromiss umgesetzt werden. Allerdings besteht auch hier die Gefahr, dass ein zu niedriger Mindeststeuersatz den Wettlauf nach unten zunächst noch beschleunigt und die zusätzliche Komplexität den globalen Süden überfordert.
Insgesamt droht die Gefahr, dass ein an zu vielen Stellen aufgeweichter Kompromiss, neue Gestaltungsmöglichkeiten und eine langsame und ineffektive Implementierung durch die gestiegene Komplexität die Unternehmenssteuervermeidung nur unzureichend bekämpfen. Gleichzeitig würden die Staaten durch die vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismen und den Verzicht auf unilaterale Maßnahmen zur Garantie der „Planungssicherheit“ ihr nationales Druckmittel für weitergehende Reformen verlieren.
Die Verhandlungen im Rahmen des IF haben großes Potenzial. Um dieses Potenzial erreichen zu können, müssen jedoch einige Schlüsselelemente ihren Weg in den finalen Kompromiss finden. Wichtig sind vor allem folgende Aspekte (siehe Cobham, Faccio, & FitzGerald, 2019):
- Steuerrechte müssen für die gesamten globalen Profite multinationaler Unternehmen neu verteilt werden. Es dürfen nicht nur die Residualgewinne einbezogen werden. Sonst wird der Effekt von BEPS 2.0 stark limitiert sein.
- Die Formel für die Zuteilung von Besteuerungsrechten darf nicht nur auf Umsätzen beruhen. Auch einkommensschwache Länder, die weniger Umsätze aber viel Arbeitsleistung zu den Profiten beisteuern, müssen berücksichtigt werden.
- Die Steuerreform muss sämtliche multinationalen Unternehmen betreffen, nicht nur die Digitalwirtschaft. Gewinnverschiebung und Steuervermeidung sind in vielen Branchen ein großes Problem, das eine systemische Lösung braucht. Außerdem digitalisiert sich gerade die gesamte Wirtschaft in allen Staaten der Welt.
- Die Mindeststeuer im Rahmen von Säule 2 darf nicht zu niedrig ausfallen. Es besteht die Gefahr, dass die Mindeststeuer von heute die globale Maximalsteuer von morgen ist. Die Independent Commission for the Reform of International Corporate Taxation, in der unter anderem Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sitzt, schlägt eine Rate von mindestens 25% vor (ICRICT, 2019).
Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass auch ein BEPS 3.0 nötig werden wird. Dafür sollte ein wirklich inklusives multinationales Gremium, vorzugsweise bei den Vereinten Nationen ermächtigt werden. Gleichzeitig darf der Handlungsspielraum bei der Reform nicht weiter eingeschränkt werden. Vor diesem Hintergrund ist es bedrohlich, dass bei den Verhandlungen innerhalb der Welthandelsorganisation zum Internethandel weitreichende Beschränkungen für Zölle sowie nationale Verpflichtungen zur Offenlegung von Technologietransfers, Quellcode und Daten in eine lokale Niederlassung und damit eine Erschwerung der Besteuerung von digitalen Geschäftsmodellen diskutiert werden (siehe James, 2019).
[1] Als Big Four bezeichnet man die vier größten Unternehmensberatungen der Welt: Deloitte, PwC (PricewaterhouseCoopers), EY (Ernst & Young) und KPMG.
[2] Siehe die BEPS-Seite der OECD: http://www.oecd.org/tax/beps/
[3] Siehe auch den aktuellen Online-Appendix mit Visualisierungmöglichkeiten: https://missingprofits.world/
[4] Zahlen Haushalt Costa Rica, 2019 und Plan 2020: https://www.hacienda.go.cr/docs/5d66ecb19846c_Folleto%20Presupuesto%20Nacional%202020.pdf
[5] Zahlen Haushalt Südafrika, 2016: http://www.treasury.gov.za/documents/national%20budget/2016/review/FullReview.pdf
[6] Von tausend Kindern starben 2016 in Deutschland 3,8 vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres. In Südafrika lag die zahle bei 36,6. Quelle: Weltbank, data.worldbank.org
[7] Sie Steuerlücke bezieht sich in diesem Fall auf sämtliche entgangenen Steuereinnahmen und nicht nur auf die von Unternehmen verursachten.
[8] Siehe den Detailbericht zu den Niederlanden im Index der Steueroasen für Unternehmen, Note 8: https://corporatetaxhavenindex.org/database/Netherlands.xml#b8
[9] Siehe für einen Abriss über die Entwicklung der politischen Lösungsversuche die Studie „Accounting (f)or Tax: The Global Battle for Corporate Transparency“ vom Tax Justice Network: https://www.taxjustice.net/wp-content/uploads/2018/04/MeinzerTrautvetter2018-AccountingTaxCBCR.pdf
[10] Siehe für eine Kurzzusammenfassung der Gesamtsteuer und ihrer Geschichte den Report von Sol Picciotto für das Tax Justice Network: https://www.taxjustice.net/wp-content/uploads/2013/04/Towards-Unitary-Taxation-Picciotto-2012.pdf
[11] Auf EU-Ebene gibt es des Weiteren spannende Ansätze, die Besteuerung von Unternehmen EU-weit anzugleichen (“Common Corporate Tax Base”, CCTB) und über die sogenannte Gesamtkonzernsteuer Profitverschiebung durch Unternehmen zu unterbinden (Common Consolidated Corporate Tax Base”, CCCTB).
[12] Siehe für einen Überblick der BEPS-Maßnahmen: http://www.oecd.org/tax/beps/beps-actions
[13] Die offizielle Mitglieder-Liste kann hier eingesehen werden: www.oecd.org/tax/beps/inclusive-framework-on-beps-composition.pdf
[14] Siehe Arbeitsprogramm des IF, Kapitel 1, 11: “Cognisant that predictability and stability are fundamental building blocks of global economic growth, the Inclusive Framework is therefore concerned that a proliferation of uncoordinated and unilateral actions would not only undermine the relevance and sustainability of the international framework for the taxation of cross-border business activities, but will also more broadly adversely impact global investments and growth.” Link: https://www.oecd.org/tax/beps/programme-of-work-to-develop-a-consensus-solution-to-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy.pdf
[15] Details zu diskutierten Ansätzen hier: https://www.oecd.org/tax/beps/programme-of-work-to-develop-a-consensus-solution-to-the-tax-challenges-arising-from-the-digitalisation-of-the-economy.pdf
[16] Details zu den Vorschlägen hier:http://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-addressing-the-tax-challenges-of-the-digitalisation-of-the-economy.pdf
[17] Hier der Vorschlag der OECD: https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-secretariat-proposal-unified-approach-pillar-one.pdf
[18] Hier einzusehen: https://www.oecd.org/tax/beps/public-consultation-document-global-anti-base-erosion-proposal-pillar-two.pdf.pdf